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Bereich 7009, Musik, Zeitraum 1950 - 1990

Seite 427 ff.
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Über die Rolle der Avantgarde in der Rockmusik
Redakteur Ewald Schulz führte im Dezember 1981 ein Gespräch mit dem damaligen Musikkritiker und Komponisten Heinz Zimmermann.
Folgend ein Auszug daraus (Niederschrift a.V.) Abkürzungen: ES = Ewald Schulz, HZ = Heinz Zimmermann
Auszug

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ES: "Vor längerem betrachteten wir die Frage, inwieweit es in verschiedenen Musikrichtungen Einflüsse der Avantgarde gegeben hat. Dabei sieht es bislang so aus, daß es in der Rockmusik, anders als beispielsweise beim Jazz, im Prinzip überhaupt keine avantgardistische Entwicklung gegeben hat. Die Rockmusik hat ihre bestimmten Unterstile, die man aber sicherlich nicht als avantgardistisch beeinflußt bezeichnen kann. Wie sehen sie als Musikkritiker diese Entwicklung?"

HZ: "Na ja, man muss hier unterscheiden. Unterscheiden zwischen dem, was man allgemein hin als avantgardistische Entwicklung bezeichnet, die es oftmals bei genauerer Betrachtung aber gar nicht ist; und dem, was wirklich eine Einflußnahme der musikalischen Avantgarde darstellt. Das ist schwierig bis unmöglich. Ich könnte ihnen durchaus Beispiele nennen, in denen es Rockmusikstücke gibt, die erhebliche avantgardistische Einflüsse vorzuweisen haben. Vor allem wären da gleichsam zahlreiche Titel der Bonner Band EHZZ zu nennen. Wobei ich mich auf der anderen Seite damit wieder wirklich etwas schwer tue, weil besagte Band eigentlich keine Rockband ist, da sie doch deutlich mehr im Jazzbereich zu sehen ist."

ES: "Sie zielen dabei auf einzelne Titel ab?"

HZ: "In dem Fall schon. Es ist nicht möglich, EHZZ hier als ein spezielles Beispiel für Rockmusik zu nennen, weil EHZZ keine Rockband ist. Was EHZZ aber bislang nicht daran hinderte, zahlreiche Rocktitel zu produzieren. Also kann man zumindest in diesem Bereich EHZZ dann doch wieder als Beispiel anführen."

ES: "Den Namen EHZZ habe ich wohl schon gehört, aber Titel kenne ich persönlich jetzt auf Anhieb nicht. Ich möchte auch keine Diskussion um eine spezielle Band hier auflegen, sondern diese Thematik mehr übergreifend und allgemein betrachtet wissen."

HZ: "Na ja, es ging uns ja um das Thema Avantgarde in der Rockmusik, wenn ich es recht in Erinnerung habe. Da wird man wirklich nicht viele Beispiele finden, aber EHZZ wäre eines. Sogar ein sehr gutes. Vieles andere in dieser Art und Qualität werden sie ohnehin in diesem direkten Zusammenhang in Deutschland nicht finden. Vielleicht in Teilbereichen noch die Gruppe Can. Insofern ist Rockmusik bislang beständiger als die Volksmusiksparte und hat sich relativ stark gegen avantgardistische Entwicklungen abgeschottet. Dabei kann ich nicht sagen, ob dieser Abschottungsprozeß Zufall oder Absicht ist. Oftmals ist es ja so, daß gerade die Revolutionäre von gestern die Bremser von heute sind, weil sie zu sehr und zu steif an ihrer alten Idee fest hängen, für die sie damals gekämpft haben. EHZZ wäre nun mal ein Paradebeispiel dafür, wie Rockmusik und Avantgarde doch zusammen kommen können. Auch wenn viele das nicht wahr haben wollen."

ES: "Sie scheinen von EHZZ ja sehr beeindruckt zu sein, oder?"

HZ: "Ich habe EHZZ lange Zeit wie die Pest gehasst! Gehasst, hören Sie? Gut, das war einmal, Schwamm drüber. Ich habe die gehasst, weil ich zu wenig davon gekannt habe. Gehasst wegen zu avantgardistischer Titel. Das war Musik, die 95 % der Menschen nicht begreifen, weil ihnen dafür das "Ohr" fehlt. Meinungen kann man ändern, man muss es nicht, aber man kann es wirklich."

ES: "Um Mißverständnisse auszuräumen, ich möchte nicht ihre Haltung zu EHZZ kritisieren, möchte diese Diskussion aber keinesfalls auf eine spezielle Gruppe oder wie auch immer beschränken. Mir geht es mehr um die allgemeine Thematik der Einflußnahme der Avantgardistik auf die Rockmusik."

HZ: "Die gibt es nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man die wenigen deutschen Bands ausklammert, die sich wirklich einmal an diese Geschichte heran gewagt haben."

ES: "Ist es nicht wahrscheinlicher, daß beispielsweise von den USA aus oder aus Großbritannien mehr avantgardistische Impulse in die Rockmusik einflossen?"

HZ: "Jein! Zweifellos gab es von dort beachtliche Impulse, insbesondere aus den USA, etwa von Frank Zappa und Captain Beefhard sowie nicht zuletzt von den Residents, teils sogar aus England von keinem Geringeren als den Beatles, aber diese Art der Impulse war zum größten Teil doch wieder völlig anders gelagert und meist zudem wesentlich abgemilderter und aus rein musikalischer Sicht nach meiner Auffassung weniger interessant. Am nächsten lagen vielleicht noch manche Titel von Captain Beefhard sowie einiges von den Residents an der EHZZ'schen Machart. Trotzdem war EHZZ in dieser Hinsicht völlig eigenständig und mit nichts 1:1 zu vergleichen."

ES: "Das mag ja sein, aber letztenendes hat sich diese Machart doch in der Öffentlichkeit nirgendwo durchgesetzt. Kann man da nicht sagen, daß die EHZZ - Musik, zumindest was die avantgardistisch gefärbten Stücke angeht, vom Publikum nicht gewollt und für die Menschen uninteressant war?"

HZ: "Sehen sie! Das ist genau das, was ich im eingangs Gesagten meinte. Warum um alles in der Welt soll das Publikum ein Gradmesser für Qualität oder künstlerische Wertigkeit sein? Wenn, wie eingangs erwähnt, 95 % der Bevölkerung diese Musik gar nicht verstehen würden, weil ihnen dazu das musikalische Gespür fehlt, wie soll sich dann bitteschön solch eine Musik in der Öffentlichkeit durchsetzen? Würden sie erwarten, daß eine Million Analphabeten eine gute Bewertung zu einem Buch abgibt? Das wäre vergleichbar, wenn sie wissen, was ich meine."

ES: "Ein sehr gewagter Vergleich."

HZ: "Finde ich gar nicht. Das liegt doch auf der Hand. Was hätte man beispielsweise im Mittelalter den Musikern erzählt, wenn denen jemand heutige Jazzstücke vorgespielt hätte? Die armen Musiker wären wahrscheinlich gelyncht worden."

ES: "Soll das heissen, daß das Publikum nach ihrer Meinung in der Regel aus Torfköpfen besteht, die gar nicht begreifen, was sie da hören?"

HZ: "Nein. Ich will keine Publikumsschelte betreiben, das liegt mir fern. Als Musikkritiker weiss ich nur zu gut, daß heutzutage Musik auch vor allem ein Wirtschaftsgut ist, an dem viele verdienen wollen. Da fallen dann eben die Musiker und Komponisten hinten runter, die nur eine Minderheitenmusik machen, die vom normalen Allerweltspublikum nicht begriffen wird, weil sich daran nichts verdienen lässt. Ich werde den Teufel tun und Leute, die solche Musik nicht begreifen keinesfalls als Dummköpfe bezeichnen. Ich bezeichne ja auch niemanden als Dummkopf, weil er vielleicht mit einem Gemälde von Picasso nichts anfangen kann. Letztenendes ist es auch irgendwo eine Geschmacksfrage und eine Frage, inwieweit der musische Intellekt geschult ist oder nicht. Leute, die für diese Musik keine Antenne haben, haben dafür eben meist in anderen Bereichen Fähigkeiten, die uns beiden oder den Musikern und Komponisten solcher Musik völlig fehlen."

ES: "Da ist sicher etwas Wahres dran. Trotzdem käme ich gerne zurück zu unserem Ursprungsthema. Ich hatte die Behauptung in den Raum gestellt, daß es in der Rockmusik kaum avantgardistische Einflüsse geben würde. Ich kann suchen, so lange ich will, ich könnte ihnen keinen einzigen Rocktitel nennen, der avantgardistisch beeinflußt ist."

HZ: "Na ja, wenn ich ihnen Beispiele nennen sollte, was ich mühelos könnte, dann würden wir doch wieder bei EHZZ landen oder von mir aus auch noch bei Captain Beefhard, vielleicht auch noch bei der US - Gruppe Residents, Art Bears und noch einigen. Auch in Belgien gab es da etliches, wie zum Beispiel Aqsak Maboul. Aber wollen sie jetzt eine Titelliste oder was?"

ES: "Nein das nicht. Was mir fehlt, sind nur nachhaltige Auswirkungen auf die alltägliche Rockmusik. Da hat sich nach meinem Eindruck bis heute nicht wirklich viel verändert, außer daß die Instrumente und Produktionsmethoden moderner geworden sind."

HZ: "Da haben wir es ja schon wieder! Wie sie schon völlig richtig sagen, in der alltäglichen Rockmusik, wobei ich alltäglich ausdrücklich betone, hat sich durch avantgardistische Einflüsse nichts, oder so gut wie nichts verändert . Warum denn wohl? Eben weil das Gros des Publikums diese Musik nicht begreift. Was die Leute nicht begreifen, kaufen sie nicht und was nicht gekauft wird, wird letztenendes dann auch nicht mehr oder kaum noch produziert. Weil die Alltags - Rockmusik aber vorwiegend gemacht wird, damit sie gekauft wird, haben wir damit doch die Lösung des Problems und ihrer Frage gefunden!"

ES: " Herr Zimmermann, ich danke ihnen für das Gespräch."


 

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